Wissenschaft
01.07.2003
Was kosten die Kinder?
Mehr Nachwuchs verkürzt das Leben, lautet eine These unter Biologen – doch über die lässt sich streiten
Das
Leben ist wie eine Sahnetorte – das glauben zumindest Biologen, die sich mit
Lebensläufen von Mensch und Tier befassen. Ständig müssen sich
Eltern entscheiden, wer das nächste Kuchenstück bekommt: Sie selbst
oder der Nachwuchs. Denn jedes Stück seiner Ressourcen, die ein Organismus
in seine genetische Zukunft investiert, kostet auch etwas: Lebenszeit. Je
weniger Nachwuchs, desto älter kann ein Organismus werden, besagt eine
These zum Altern von Lebewesen. Bei Taufliegen konnten Alternsforscher diesen
Zusammenhang in ihren Labors tatsächlich nachweisen.
Rudi
Westendorp und Thomas Kirkwood von der University of Manchester fanden den
Zusammenhang vor einigen Jahren auch beim Menschen: Ihre Untersuchungsobjekte
waren Könige und Gräfinnen des englischen Adels der letzten
Jahrhunderte. Sie eigneten sich gut, weil sie ähnlich wie die Fliegen und anders
als das einfache Volk beinahe unter abgeschlossenen „Laborbedingungen“ leben.
Zudem ist ihre genetische Historie in Stammbüchern genau dokumentiert. Je
weniger Kinder die Gräfinnen und Herzoginnen gebaren, desto älter
wurden sie, fanden die Forscher heraus. Grundlage ihrer Untersuchung war eine
Datenbank des englischen Adels, die in Fachkreisen als „Brooges Genealogie“
bekannt ist.
Der
1998 in der Fachzeitschrift Nature veröffentliche Artikel galt lange als
eine der einflussreichsten Arbeiten der Alternsforschung. „Mehr als 70-mal
wurde er seit dem Erscheinen zitiert“, sagt Leonid Gavrilov vom Center of
Ageing in Chicago. Doch er und seine Frau Natalia Gavrilova wiesen nach, dass
die Ergebnisse nicht ganz stimmen. Denn die verwendete Brooges-Datenbank ist
nicht so akkurat wie geglaubt – so mancher blaublütige Balg scheint zu
fehlen. Natalia Gavrilova entdeckte bei einer mehr als zweijährigen
Puzzlearbeit in Briefen und Geburtsbüchern viele verheimlichte Kinder.
Antoinette de Bourbon etwa, Mutter von Maria Stuart, hatte im 16.Jahrhundert
statt des einen bekannten Kindes in den 90Jahren ihres Lebens mindestens
zwölf zur Welt gebracht. „Wenn wir aber den Stammbaum
vervollständigen, verschwindet die Relation zwischen Lebensalter und
Kinderzahl wieder“, so die russischen Forscher auf einer Tagung der Population
Association of America.
Erhärtet
wird die Kritik nun von Gabriele Doblhammer vom Rostocker Max-Planck-Institut
für Demographische Forschung – und doch auch wieder nicht: Zwar
bestätigte Doblhammer gemeinsam mit ihrem Kollegen Jim Oeppen die
Lücken in der Brooges-Datenbank durch einen Vergleich mit der
„Hoolingsworth Genealogie“, einer der umfangreichsten des englischen Adels.
Zunächst fanden sie mit diesem Stammbaum keinen Sahnetorten-Zusammenhang. „Erst
als wir Faktoren wie den Gesundheitszustand berücksichtigten, zeigte sich,
dass für Frauen im gebärfähigen Alter der Zusammenhang doch
besteht“, schreiben Doblhammer und Oeppen (1). Den Gesundheitfaktor rechneten
die Forscher heraus, weil er sowohl das Lebensalter als auch die
Gebärfähigkeit erhöht. „Der Faktor Gesundheit maskiert sonst die
tatsächlichen ’Kosten‘ an Lebenszeit einer häufigen Reproduktion“,
sagt Eckart Voland Universität Gießen.
Leonid
Gavrilov bleibt aber skeptisch: „Warum haben die Rostocker so wichtige Daten
wie Frauen mit sehr niedrigen Kinderzahlen oder kinderlose Familien aus ihren
Berechnungen rausgelassen?“ Wenn man sich nur die Rosinen aus dem Kuchen
herauspicke, dann werde ein gesuchtes Ergebnis zwangsläufig wahrscheinlicher.
Der Streit um die Verteilung der Tortenstücke ist also noch nicht
entschieden.
MARCUS
ANHÄUSER
(1)
Proceedings of the Royal Society B (doi 10.1098/rspb.2003. 240)
The text below was kindly translated from German to English
by Herr Georg Duve of Hamburg,
GERMANY
and edited by Steve Coles
of
What Do Children Cost?
“Having more and
more offspring shortens a species’ maximum lifespan,” describes a thesis among
biologists - but one can certainly argue about that. “Life is sort of
like an ice-cream cake” - imagines some biologists who are concerned with the
personal longevity records of both humans and animals. Constantly parents must decide, who should get the next piece of cake, either
themselves or their children. Because for each component of its resources an
organism invests into its genetic future, which also costs something: Lifetime.
The fewer the number of offspring, the older an organism can become, explains
this thesis on the aging of organisms. With fruit flies, a researcher could
actually prove this connection in their own laboratory.
Profs. Rudi Westendorp and Thomas Kirkwood of the
In 1998, the
British journal Nature published an article that was considered for a
long while as one of the most influential works in the filed of aging research.
“It was quoted ‘more than 70-times’ since its appearance,” Leonid Gavrilov of the
Antoinette de Bourbon,
Grandmother of Maria Stuart, for example, had brought into the world at least
twelve children instead of her one well-known child during the 90 years of her
life. ‘However, if we complete the family tree, the relation between ages and
child-number disappears,’ said the Russian researchers at a conference of the
Population Association of America.
The criticism is
confirmed now by Ms. Gabriele Doblhammer of the Rostock Max-Planck-Institute for Demographic Research - but
nevertheless not confirmed: Doblhammer confirmed the
gaps in the Peerage database together with her colleague Mr. James Oeppen based on a comparison with ‘Hollingsworth
Genealogy,’ one of the most extensive for British Aristocracy. First,
they did not find an ice-cream cake connection with this family tree. ‘But when
we considered factors like the state-of-health, it was revealed that, for women
in the age group capable of child-bearing, the connection exists nevertheless,’
wrote Doblhammer and Oeppen
[1]. The researchers extracted the health factor, because it increases both the
age and the capability of child-bearing. “The health factor otherwise masks the
actual ‘costs’ of a lifetime of a frequent reproduction,” said Eckart Voland of Giessen University.
Dr. Leonid Gavrilov remains skeptical,
however. ‘Why have the Rostockers excluded such
important data as women with very low child numbers or childless families from
their calculations?’ If one picks only raisins from the cake, a
sought-after result is inevitably more probable. The controversy over the
distribution of the pieces of the cake has not yet been determined.
MARCUS ANHÄUSER
(1) Proceedings of the Royal Society B (doi 10.1098/rspb.2003. 240)